Ein Schlüsselbegriff im Redaktionsalltag ist der Begriff der Deadline. Dieses angeblich aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg stammende Wort bezeichnet eine Sperrlinie in Kriegsgefangenenlagern, deren Übertreten mit Tod durch Erschießen geahndet wurde. Mit Überschreiten einer redaktionellen Deadline kommt nun zwar kein Mensch zu Schaden, aber das Gesamtgefüge einer so komplexen Sammlung von Text und Bild, aus der eine Publikation wie der DRAHTESEL besteht, gerät ins Wanken: die vielen beteiligten Hände geraten durcheinander, Lektorin und Lektor warten angespannt, der Drucktermin rückt näher, alle sind nervös, und am Ende geht sich doch alles aus.

“Verbesserungen des Radwegenetzes sind vielfach kosmetischer Natur –
strukturelle Probleme bleiben bestehen”

Zeitungmachen ist aufwändig. Und die meisten, die an unserem Magazin mitarbeiten, sind ehrenamtlich tätig. Schlagen sich Nächte um die Ohren und investieren Zeit, die sie auch anders verbringen könnten. Wer eine Deadline verpasst, hat zumeist gute Gründe. Noch nie aber hat es eine schönere Erklärung gegeben als im Zuge der letzten Produktion: „Manchmal ist Schreiben wie eine Ketchup-Flasche“, ließ mich ein Autor wissen, „man schüttelt und schüttelt, es kommt lange nichts, und plötzlich – mit einem Schwall – ist der ganze Flascheninhalt draußen.“

Screenshot 2016-03-22 13.49.20Die epische Wahrheit dieser Aussage – welcher Autor, welche Autorin kennt dieses Gefühl nicht? – macht jedes weitere Drängen zum Sakrileg.

Das Sprachbild lässt sich auch auf andere Zusammenhänge übertragen. Im Jahr 2013 beging die Stadt Wien das Fahrradjahr. Viele Menschen hofften damals, dass dies der Moment sein würde, an dem sich eine neue, fortschrittliche Verkehrspolitik über die autoverkehrsgeplagte Stadt ergießen würde wie Ketchup über Pommes. Leider ist von der Euphorie nur noch wenig zu spüren: Bezirkspolitischer Kleingeist und parteipolitisches Kalkül hemmen den weiteren Weg in Richtung einer menschengerechten Stadt. Verbesserungen des Radwegenetzes sind vielfach kosmetischer Natur – strukturelle Probleme bleiben bestehen. Maßnahmen wie das Grünfärben von Radwegen scheinen absurd, wenn sie ausgerechnet im Kreuzungsbereich (dort, wo die meisten Gefahren drohen) unterbrochen sind.

Bleibt das Gefühl, immer noch auf die Einlösung eines Versprechens zu warten. Als würden wir die Ketchup-Flasche schütteln und schütteln – aber es kommt nix.

 

Mahalo

Matthias Bernold, Chefredakteur