Verkehrsplanung mit Blumentöpfen
Immer mehr Städte setzen auf modale Filter. Was sperrig klingt, ist ein einfaches und günstiges Instrument, um Stadtviertel attraktiver zu machen und komfortable Radrouten zu schaffen.
Text: Philipp Schober, Fotos: Margit Palman, Philipp Schober, Illustrationen: ADFC/Timm Schwendy.
Auf einer gut gestalteten Fahrradstraße entlangzurollen, ist für die meisten Radfahrenden ein angenehmes Gefühl. So wurden in einer deutschen Umfrage von 2019 zum Routenwahlverhalten von Radfahrenden mit rund 4.400 Teilnehmer*innen Fahrradstraßen am positivsten bewertet, sogar besser als baulich getrennte Radwege. Was Fahrradstraßen so attraktiv macht, ist, dass dort kein Kfz-Durchfahrtsverkehr erlaubt ist.
In der Praxis sichergestellt wird das meist durch etwas, was Stadt- und Verkehrsplaner*innen in ihrer Fachsprache „Modale Filter“ nennen und was viele Verkehrsteilnehmer*innen aus dem Alltag zum Beispiel als Poller oder Blumenkübel kennen. Die werden so aufgestellt, dass eine Straße oder ein Platz zwar für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen sowie Menschen mit Rollatoren, Kinderwägen oder Rollstühlen passierbar bleibt, Autofahrer* innen aber nicht durchkommen – dass also die verschiedenen Verkehrsarten („Modi“) gefiltert werden.
Modale Filter bieten Stadtverwaltungen eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, um den Verkehr zu lenken. Wohnviertel lassen sich so einfach verkehrsberuhigen, zugleich entstehen komfortable Radrouten.
Die verstärkte Nutzung von Echtzeitnavigationssystemen hat modale Filter in den letzten Jahren noch wichtiger gemacht. Denn Navigationsgeräte berücksichtigen beispielsweise im Falle von Staus keine Straßenhierarchie und führen so Kfz-Schleichverkehre durch Wohngebiete. Die herkömmliche Straßensystematik, die Straßen auf Stadtplänen und idealerweise auch durch die Raumgestaltung als Haupt- oder Nebenstraßen erkennbar macht, eignet sich somit heute nicht mehr als einziges Steuerungselement.
Wie also funktionieren modale Filter, und wie und an welchen Orten können sie bestmöglich eingesetzt werden?
Modale Filter lassen sich in drei Grundformen einteilen: Verkehrszeichen, bauliche Sperren und Flächenumwidmungen.
Einbahnen und Schulstraßen
Filter durch Verkehrszeichen eignen sich besonders dann, wenn das Durchfahren mit Kfz unterbunden, der notwendige Kfz-Erschließungsverkehr aber ermöglicht werden soll. Hierzu zählen etwa Einbahnen, Sackgassen oder Fahrverbotszonen mit Ausnahmen für den Liefer- und Radverkehr, den öffentlichen Verkehr oder Kommunalfahrzeuge.
Solche Filter können auch helfen, kleinräumige Fußgängerzonen mit Radfahrerlaubnis anzulegen, etwa vor Schulen oder an anderen belebten Orten. Wo dauerhafte autofreie Schulvorplätze nicht möglich sind, können mit Fahrverbotstafeln sogenannte Schulstraßen verordnet werden. Für je 30 Minuten vor Unterrichtsbeginn und nach Schulschluss werden sie für den Autoverkehr gesperrt, zum Beispiel mit mobilen Scherengittern; das Radfahren ist weiterhin erlaubt. Der Eltern-Bringverkehr wird dadurch reduziert, die Kinder sind im Schulumfeld sicherer unterwegs. Im Südtiroler Bozen gibt es ein solches Modell schon seit mehr als 15 Jahren, in Salzburg und Vorarlberg seit 2017, in Wien seit 2018.
Poller und Sitzbänke
Noch effektiver funktioniert die Kfz-Verkehrsberuhigung durch Filter in dauerhafter physischer Form. Die einfachste Variante davon sind reflektierende Poller. Sie sind rasch aufgestellt und preiswert, und bei Bedarf können Mitarbeiter*innen von Müllabfuhr, Stadtreinigung und Einsatzfahrzeugen sie mit entsprechenden Schlüsseln umlegen und durchfahren.
In manchen Städten kommen auch elektronisch versenkbare Poller zum Einsatz. Mit ihrer Hilfe können etwa gewisse Zeitfenster für Lieferant*innen oder Zufahrtsrechte für Anrainer*innen definiert werden.
Werden die Poller diagonal über eine Kreuzung gesetzt, spricht man von einem Diagonalfilter. Der erste Kfz-Diagonalfilter in Wien wurde 2018 im Zuge der Verkehrsberuhigung eines Viertels im 15. Bezirk errichtet. Die Kreuzung der „fahrradfreundlichen“ Goldschlagstraße mit der Hackengasse können Radfahrer*innen nun weiterhin in alle Richtungen überqueren; zweispurige Kraftfahrzeuge werden durch den Diagonalfilter zu einer Hauptstraße zurückgeleitet.
Statt Pollern können auch Betonleitwände als bauliche Filter genutzt werden; teurere, aber dafür auch ästhetisch ansprechendere Varianten sind flexible Straßenmöbel oder Begrünungselemente. Sie können auch in Kombination mit Fahrbahnverengungen eingesetzt werden.
Um auch Menschen auf Transporträdern und Fahrrädern mit Anhängern eine komfortable Durchfahrt zu ermöglichen, ist bei allen baulichen Filtern auf ausreichend Abstand zwischen den einzelnen Elementen zu achten.
Grünflächen und Fußgängerzonen
Wenn Stadtverwaltungen den Straßenraum neu und gerechter verteilen wollen, können sie einzelne Straßenabschnitte oder Plätze zu Geh- und Radwegen oder zu Fußgängerzonen mit Radfahr-Erlaubnis umfunktionieren. Besonders gut eignet sich dieses Modell auch für Begrünungsmaßnahmen in dicht verbauten Stadtgebieten. In der Wiener Goldschlagstraße wurde es auf Höhe des ehemaligen Elisabeth-Spitals umgesetzt.
Groningen, London – und Wien?
In Städten wie Freiburg, Münster und Groningen ist die „gefilterte Durchlässigkeit“ bereits seit Jahren ein Kernelement der Verkehrsplanung. Ein Comeback feiern modale Filter derzeit auch in den „low-traffic neighbourhoods“ (auch „Mini-Hollands“ genannt) in London, die sich an den planerischen Ansätzen der niederländischen „Woonerfs“ der 1970er-Jahre orientieren.
Werden Verkehrsfilter in größerem Maßstab einsetzt, entsteht ein sogenannter „Superblock“. Mit diesem aus Barcelona stammenden Konzept wird der Kfz-Verkehr aus einer größeren Zone oder gar aus einem ganzen Viertel weitestgehend verbannt. Ein Forschungsprojekt des Deutschen Instituts für Urbanistik untersucht die Potenziale des Superblock-Konzepts für andere europäische Städte gerade in Berlin und Wien auf ihre Praxistauglichkeit.
Die flächendeckende Implementierung von modalen Filtern in Nebenstraßen könnte auch in Österreich vielen Menschen entspanntes und komfortables Radfahren ermöglichen, sei es in Fahrradstraßen, in Begegnungszonen oder im untergeordneten Straßennetz. Neben Radfahrenden würden auch die Anwohner*innen profitieren: durch geringere Fahrgeschwindigkeiten, weniger Lärm, bessere Luft- und Aufenthaltsqualität sowie mehr Platz für Kinder.
Quellen: Deutsches Zentrum für Luftund Raumfahrt e. V. 2019: Attraktive Radinfrastruktur. Routenpräferenzen von Radfahrenden. / ADFC 2020: Modale Filter. ‘InnoRAD-Factsheet 2/6. /
Deutsches Umweltbundesamt 2020: Quartiersmobilität gestalten. Verkehrsbelastungen reduzieren und Flächen gewinnen. / Deutsches Institut für Urbanistik 2021: Stadtquartiere im menschlichen Maßstab umgestalten.
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