Straßenbahnschienen bedeuten für Radfahrende Gefahr und Stress. Doch es gibt viele Möglichkeiten, das Unfallrisiko zu verringern und Schienenstraßen für Radfahrende sicherer zu machen. Ein Überblick.

BERICHT: Philipp Schober

Ein Problem, das viele Radfahrende kennen: Eine stark befahrene Straße mit wechselnden Breiten zum rechtsseitigen Gehsteig oder parkenden Autos, mittig verlaufende Straßenbahnschienen und hohe Geschwindigkeiten von Kfz im Rücken. Im Haltestellenbereich wird die Straße eng, die Randsteinkante der Haltestelle ragt bis zu 20 Zentimeter hoch. Um beim Tritt in die Pedale dort nicht aufzusetzen, wird ein Wechsel zwischen die Straßenbahnschienen notwendig: ein riskanter Moment. Die Reifen eines Fahrrads können hier leicht in den Spalt der Schiene geraten und verkanten. Ein Sturz ist dann schwer vermeidbar. Tatsächlich wissen die meisten Radfahrenden, die sich in größeren Städten bewegen, von Stürzen oder zumindest heiklen Situationen auf Schienenstraßen zu berichten. Dabei könnten derlei Gefahrensituationen vermieden werden – vorausgesetzt die Verkehrsplanung nimmt darauf Bedacht und geht das Problem konsequent an.

„Budapester“ in Wien

In Wien ist das Finden der richtigen Fahrlinie zwischen Gleisen, schlecht verlegten Betonplatten, geparkten Autos und wiederkehrenden Haltestellen besonders schwierig. Der Grund dafür: die Bauweise. Vorgefertigte Betonplatten, sogenannte Budapester, die vom Kran auf eine Schicht Kies gesetzt werden. Damit gibt es etwa alle 1,5 Meter eine Querfuge und zusätzlich Längsfugen neben den Schienen. Bei zweigleisiger Ausführung sind bis zu zehn Spalten zu queren. Eine zusätzliche Herausforderung für Radfahrende. Im Lauf der Zeit bewegen sich die lose verlegten Platten und gefährliche Kanten entstehen – die Folgen: Sturzgefahr für Einspurige, sinkender Fahrkomfort für den Autoverkehr und Lärm für die Anrainer*innen. 75% des Wiener Straßenbahnnetzes sind mit einer Eindeckung mit solchen Großflächenplatten ausgeführt.

Asphalt statt Betonplatten

Es geht aber auch anders: In der Klosterneuburger Straße in Wien-Brigittenau kam 2017 erstmals das „Rheinfeder“-System zum Einsatz. Hier wird der Schienenzwischenraum mit Asphalt aufgefüllt. Das damals neue Montagesystem ermöglicht auch einen anderen Oberbau der Gleise. Für die Stadtgestaltung ergibt sich dadurch die theoretische Möglichkeit, beliebige Beläge von Asphalt über Pflaster bis hin zu Rasengleis zu verwirklichen. In anderen Städten wie Amsterdam, Brüssel, München, Düsseldorf/Neuss, Dresden, Bratislava, Linz und Gmunden wurde das System schon in vielen Varianten eingesetzt.

Auch das „Rheinfeder“-System ist allerdings nicht die ultimative Universallösung: Laut Wiener Linien ist Asphalt in drei Bereichen nicht möglich: In Gleiskurven und im Weichenbereich durch erhöhte Belastungen sowie im Haltestellenbereich, wo durch das häufige Abbremsen und Anfahren der Straßenbahnen der Verschleiß der Gleise erhöht ist. Für den öfter nötigen Tausch der Schienen sind die Betonplatten aufgrund der besseren Zugänglichkeit ebenfalls besser geeignet. Auch im Kreuzungsbereich hat die Asphalteindeckung Schwächen: Autos und Lkw erzeugen Asphaltverdrückungen durch Brems- und Beschleunigungsvorgänge, deshalb setzen die Wiener Linien hier weiterhin auf die Ausführung in Beton. In Graz und Innsbruck ist in diesen Bereichen auch Asphalt möglich.

Möglichst bauliche Trennung

Grüngleis

Klare Trennung
Grüngleis mit hochliegender Vegetationsebene und verkehrsberuhigte Flächen für Radfahrende.

Die Planungsrichtlinien RVS Radverkehr empfehlen auf Grund der erhöhten Sturzgefahr im Gleisbereich grundsätzlich die Trennung von Straßenbahnen und Radfahrenden sowie den Bau separater Radwege entlang von Schienenstraßen. In schmalen Straßen, in denen der Platz für baulich getrennte Radwege fehlt, können markierte Anlagen wie Radfahrstreifen, die seitlich der Schienen verlaufen, eine sichere Alternative bieten.

Gutes Beispiel: In der Grazer Petersgasse sind vor kurzem blau markierte Radfahrstreifen nach diesem Vorbild angelegt worden. Möglich wurde dies durch die Freimachung des Kfz-Parkstreifens.

Wenn das Markieren eines Radfahrstreifens nicht möglich ist, soll – laut Richtlinien – zwischen dem Verkehrsraum der Straßenbahn und dem Fahrbahnrand eine Breite von mindestens 1,5 Meter zur Verfügung stehen. Dies ermöglicht ein sicheres Überholen von Radfahrenden durch die Straßenbahn. Abstände von 0,5 bis 1,5 Meter seien zu vermeiden, da sie unklare Breitenverhältnisse hinsichtlich des Überholens von Radfahrenden durch die Straßenbahn darstellen, stellt die Richtlinie klar. In engen Stadtzentren, wo der Platz begrenzt ist, muss der Gleisbereich von den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmenden gemeinsam genutzt werden. Die Einführung von Tempo-30 in Schienenstraßen kann die Unfallgefahr ebenfalls verringern, indem die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Verkehrsteilnehmer*innen reduziert werden. Wird die Tempo-30-Begrenzung für alle mit Ausnahme von Straßenbahnen verhängt, ist auch die Priorisierung des öffentlichen Verkehrs weiterhin sichergestellt.

Sharrow zwischen Schienen

Piktogramme
Sharrow-Piktogramme zwischen den Schienen geben Radfahrenden in beengten Schienenstraßen Orientierung und machen andere Verkehrsteilnehmer*innen auf Radfahrende aufmerksam.

Sharrows zwischen den Schienen

Besonders bei schmalen Querschnitten ist auf die genaue Ausgestaltung der Fugen und Übergänge bei den Schienen zu achten. Straßen mit geringem Kfz-Verkehr bieten jedoch sowohl für den Radverkehr als auch für Straßenbahnen eine attraktive Routenführung. Um die Sicherheit zu erhöhen, empfiehlt die RVS Radverkehr bei Mischverkehr mit Straßenbahnen auch die Anbringung von Piktogrammen im Mitteltrog zwischen den Schienen. Eine in Österreich noch viel zu selten genutzte Möglichkeit, um Kfz-Lenkende auf Radfahrende hinzuweisen.

GLOSSAR

Gleis-Schiene
Das Gleis besteht aus den zwei Schienen. Als tragende Unterlage werden Schwellen oder eine feste Tragschicht aus Beton oder Asphalt verwendet. Befestigungselemente halten die Schienen im fortlaufend gleichbleibenden Abstand – der so genannten Spurweite – zueinander.

Seiten-, Fahr- und Mitteltrog
Bereich zwischen Gehsteig und Schiene; Bereich zwischen den beiden Schienen; Bereich zwischen zwei Gleisen.

Oberbau
Der Oberbau kann offen, geschlossen oder als sogenanntes Grüngleis ausgefuhrt werden. Grundsätzlich wird zwischen einem Schotteroberbau (meist ohne Eindeckung) und einer „Festen Fahrbahn“ unterschieden, auf dem die Gleise liegen.

Eindeckung
Wird der Gleiskorper auch durch andere Verkehrsteilnehmer:innen genutzt, wird eine geschlossene Eindeckung aus Asphalt, Beton, Pflaster oder Fertigteilen verwendet. Bei Gleisabschnitten ohne externe Benutzung werden überwiegend Schotteroberbauformen oder Grüngleise angewandt.

Fugenbänder
werden zwischen Asphalt und Schiene geklebt, um Wassereintritt zu verhindern. Durch die geschlossene Fuge ergibt sich für Radfahrende eine ebene Fahrflache ohne unangenehme Kanten.

Straßenbahnnetzlänge
Wien 171 km
Graz 66 km
Linz 30,4 km
Innsbruck 19,5 km
Gmunden 2,3 km

Schienensturzgeschichen

Achtung Gefahr!
Nasse oder vereiste Schienen sind besonders rutschig. Radfahrende, die beim Überqueren der Schienen nicht den richtigen Winkel einhalten, laufen Gefahr, auf der glatten Metalloberfläche auszurutschen und zu stürzen.

Reinhard Klauser
Ich bin vor einiger Zeit mit meinem damals 9-jährigen Sohn in Wien vom 18. in den 16. Bezirk geradelt; nachdem keine sichere Radinfrastruktur in diesem Bereich vorhanden ist, sind wir in ruhigeren Gassen gefahren, allerdings auch ein kurzes Stück mit Straßenbahnschienen – dort kam mein Sohn zu Sturz (zum Glück ohne Verletzung). Wir haben dann im wunderbaren Radmotorikpark an der Neuen Donau in Kaisermühlen das Queren von Schienen geübt. Seitdem sind wir schienensturzfrei 🙂

Johann Schneider
In der Lerchenfelder Straße sind die Schienen relativ alt und mit Betonplatten versehen. Zwischen den Platten sind die Spalten relativ groß. Ich fuhr rechts der Gleise und wollte an einer Engstelle mit Parkplätzen, nachdem mich ein Auto überholt hatte, nach links zwischen die Gleise fahren. Leider hatte ich nicht gesehen, dass der Autolenker links abbiegen wollte und während des Überholens langsamer wurde. Das hat mich so aus dem Konzept gebracht, dass ich leicht getaumelt bin und mein Vorderrad zwischen Schiene und Betonplatte eingeklemmt wurde. Zum Glück ist mir bei dem Sturz nicht viel passiert – aber meine Felge hatte tiefe Schrammen.