Eine Radreise entlang der Moldau vom romantischen Böhmerwald ins barocke Prag. Von Stifters Geburtshaus bis zu Kafkas letzter Ruhestätte auf der Suche nach den Stromschnellen aus Smetanas sinfonischer Dichtung.

REISEBERICHT: Matthias Pintner

Der Moldau-Radweg ist als Route Nr. 7, dann als A2, 111, und 301 beschildert. Er führt nur streckenweise flach entlang des Flusses, meist jedoch über Anhöhen abseits des Flusses, die traumhafte Tiefblicke bieten. Die zu überwindenden Steigungen von mehr als 10% brachten den Autor gehörig ins Schwitzen. Mehrmals musste er sogar absteigen und schieben…

Der Großteil der Route ist asphaltiert und autoarm. Wenige Abschnitte sind unbefestigt und sehr kurze Stellen sind abenteuerlich felsig und sicherer schiebend zu überwinden. Kurze Abschnitte sind unangenehm Kfz-belastet.

Wildes Wasser?

Noch schwindlig von der kurvigen Fahrt im Regionalzug, genießen wir den lauen Juniabend mit Blick über den Lipno-Stausee und erfrischender Himbeerlimonade. Angereist sind wir – wegen der einfacheren Radmitnahme – mit Regionalzügen vom Franz-Josefs-Bahnhof in Wien, über Tschechisch Gmünd / České Velenice und Budweis / České Budějovice. In Oberplan / Horní Planá besichtigen wir das Geburtshaus Adalbert Stifters. Der Biedermeierdichter ist hier geboren, als Böhmen noch Kronland Österreichs war. Stifters Texte schienen mir in meiner Schulzeit zu schwülstig. Vielleicht überdenke ich meine Meinung. Der Böhmerwald ist tatsächlicher Naturkitsch. Harziger Waldduft und vielstimmige Vogelkonzerte betören meine Sinne. Am nächsten Tag erkunden wir Glöckelberg / Zvonková. Der Ort war bis 1945 überwiegend von deutschsprachigen Menschen bevölkert. Diese wurden bei Kriegsende pauschal zu Feinden erklärt und vertrieben. In der Folge wurden Tschechen aus der Karpato-Ukraine angesiedelt, die fünf Jahre später vom Kommunisten-Regime ebenfalls wieder vertrieben wurden, da der Ort zur Sperrzone am Eisernen Vorhang gemacht werden sollte. Nach der Wende 1989 renovierten Vertriebene und deren Nachkommen Kirche und Friedhof mit Unterstützung tschechischer Behörden. In der Kirche sind die Geschehnisse dokumentiert.

Vltava bedeutet „Wildes Wasser“

Waldidylle

Waldidylle
Zwischen Vyšší Brod und Rožmberk nad Vltavou.

Die Moldau, tschechisch Vltava, bedeutet etwa „Wildes Wasser“ und wurde in der gleichnamigen sinfonischen Dichtung von Bedřich Smetana gewürdigt. Das 1874 geschriebene Stück ist einer meiner Klassik-Favoriten. Schon als Kind habe ich es mit meiner aus der mährischen Hauptstadt Brünn stammenden Großmutter im Konzerthaus angehört. Obwohl sie Deutschmährerin war, mochte die Großmutter das Stück – obwohl es ursprünglich als Ausdruck des tschechischen Nationalismus von Smetana galt. Was mich selbst bei meinen Recherchen überrascht: Smetana wurde als Friedrich getauft und war ursprünglich deutschsprachig. Er lernte erst später tschechisch und nannte sich Bedřich, was auf tschechisch eben Friedrich bedeutet. Von den musikalischen Stromschnellen, einem der musikalischen Motive in der Komposition, ist an den Flusswindungen in Rosenberg / Rožmberk nad Vltavou nichts zu merken. Schulklassen unternehmen hier kurz vor Ferienbeginn gemächliche Kanufahrten. Wir werden gefragt, wohin die Reise gehen soll und nennen Prag als Ziel. Ein Pensionistenpaar empfiehlt uns scherzhaft: „Nehmt doch das Boot.“ Aufgrund der vielen unschiffbaren Staustufen freilich ein Ding der Unmöglichkeit…

Polka und Pop

Krumau

Krumau
Die Schwarzenberg’sche Schlossapotheke, heute eine Bar.

Ein anderes Motiv der Moldau ist die „Ländliche Hochzeit“. Dabei charakterisiert Smetana nicht das „Wilde Wasser“ selbst, sondern Land und Leute in dessen Umgebung. Er baut dazu Polkamelodien in die Komposition ein. Daran muss ich denken, als wir in Krumau / Český Krumlov spontan einem Polka-Pop-Konzert vor dem Schiele-Zentrum lauschen. Und auch als wir Tage später in einem Dorf auf einer hölzernen Tafel den Hinweis auf eine Aufführung der „Babouci – der ältesten südböhmischen Blaskapelle” entdecken, freue ich mich als Klassik- und Blasmusikfan, dass ein Moldau-Motiv auch fast 150 Jahre nach deren Schöpfung noch anzutreffen ist. In Zvíkov spazieren wir nach dem Abendessen zur Burg an der Anhöhe über der Mündung der Otava in die Moldau. Im weichen Abendlicht blicken wir auf die stillen Ufer herab, wo Campingfeuer entfacht werden. Das Moldau- Motiv „Glitzern in der Sonne“ ist offenbar auch noch gültig.

Wohnen mit Hauskatze und Pool

Burg Zvikov

Burg Zvikov
Hier stoßen die Otava und die Vltava aufeinander.

Eine Enttäuschung ist Stiechowitz / Štěchovice. Hier heißt es: Staumauer statt Stromschnellen. Die südlich von Prag gelegene Kleinstadt, an der Smetanas Johannisstromschnellen – der dramatische Höhepunkt der Komposition und die lauteste Stelle mit Hörnern und Trompeten – lagen, wirkt trist. Viele Häuser sind verfallen und stehen leer. Die Beneš-Brücke rostet scheinbar seit 1945, als der Namenspatron Präsident war, vor sich hin. In jenem Jahr wurde auch die Staumauer errichtet und das Moldautal geflutet. Stromschnellen waren damit Geschichte. Nach der Fahrt durch unzählige böhmische Dörfer erreichen wir Prag. Der Name der Stadt geht auf das tschechische Wort für Práh zurück, was „Schwelle“ bedeutet. Die Stadt sei eine „Schwelle zwischen drei Welten“, sagte der deutschsprachige Autor Max Brod und Freund Franz Kafkas in einem seiner letzten Interviews 1968: „Denn drei Kulturen stoßen da zusammen. Die tschechische-, die deutsche- und die uralte jüdische Kultur, die in Prag eines ihrer wichtigsten Zentren hatte.“

Kafka als touristischer Magnet

Karlsbrücke in Prag

Karlsbrücke in Prag
Mit Blick auf den Hradschin mit Veitsdom. Im 14. Jhdt. erbaut.

Kopfsteinpflaster und ein bruchstückhaftes Radnetz machen das Radfahren in Prag zur Tortur. Deswegen bewegen wir uns zu Fuß und mit der Tramway durch die Stadt. Prag ist eben eine Stadt für Flaneure. So einer war auch Franz Kafka, der allabendlich aus der Altstadt über die Karlsbrücke auf den Hradschin marschierte, um im Haus Nr. 22 im Goldenen Gässchen zu schreiben. Heute ist das Mini-Haus eine der populärsten Kafka-Erinnerungsstätten in Prag. „Für den tschechischen Bildungskanon ist Jan Neruda bedeutender als Kafka, der ja auf Deutsch schrieb“, erklärt uns die Fremdenführerin. Dennoch wird Kafka touristisch vermarktet wie keine andere Prager Persönlichkeit. Sein Portrait prangt auf Souvenirmünzen, T-Shirts und Postkarten. Der Platz vor seinem Geburtsort am Altstädter Ring heißt seit zwanzig Jahren Franz Kafka Platz / Náměstí Franze Kafky. Dort sind uns allerdings viel zu viele Leute. Wir finden Ruhe am Neuen Jüdischen Friedhof, wo sich die letzte Ruhestätte des 1924 verstorbenen Schriftstellers befindet.

Gänsehaut auf der Karlsbrücke

Ausflugsschiff Adalbert Stifter

Ausflugsschiff Adalbert Stifter
Das Schiff der Lipno Line ist dem Biedermeierdichter gewidmet.

Smetanas Stromschnellen haben wir zwar nicht gefunden. Sie sind über die Jahre den Stauseen gewichen. Aber auch diese stillen Gewässer haben etwas Anziehendes und werden als Badeseen, für Camping und Schifffahrten genutzt. Andere musikalische Motive finden auch heute noch ihre reale Entsprechung. Als ich in Prag auf der Karlsbrücke stehe und auf die Moldau blicke, decken sich – Gänsehaut-erzeugend – das mir gebotene Bild und die Musik in meinem Kopf: „Die Moldau strömt breit dahin“. Alleine dieser Moment wäre die Reise wert gewesen.

Unterkünfte

Unterkünfte entlang des Weges zu finden, ist leicht. Vom Bauernhaus bis zum Sternehotel findet man alles, was das Herz begehrt. Die böhmische Küche ist köstlich. In Dorfgasthäusern wird sie preisgünstiger kredenzt als in den touristischen Orten Krumau, Budweis oder Prag.

Anreise

Zum Beispiel mit der Bahn von Wien Franz-Josefs-Bahnhof über Tschechisch Gmünd und Budweis nach Oberplan/Horní Planá, wo es mit der Radfahrt losgeht.