Online-Handel und der rasante Anstieg bei Paket-Zustellungen zwingen Logistik-Unternehmen zum Umdenken. Ist die Stunde der Lastenräder gekommen?

Bericht: Matthias Bernold, Daniel Böhm

 

Immer mehr Menschen bestellen Waren online und lassen sich diese direkt nach Hause zustellen. So stieg das Transportaufkommen in Österreich laut Straßengüterverkehrsstatistik von 345 Millionen Tonnen im Jahr 2003 auf 428 Millionen Tonnen im Jahr 2012. Sichtbar wird das auch durch die Zahl der Lieferwagen und Kleintransporter, die sich in den letzten Jahren durch unsere Straßen mühen. Allein in Wien waren im Jahr 2016 laut Statistik Austria 60.342 Klein Lkw bis 3,5 Tonnen zugelassen – 56.032 davon übrigens mit steuerlich begünstigtem Dieselmotor.

Logistikunternehmen haben auf die wachsende Nachfrage mit vergrößerten Fuhrparks und dem Bau riesiger Verteilzentren an den Stadträndern reagiert. Von dort aus machen sich täglich die Kolonnen an Lieferwagen auf den Weg, um ihre Waren auszuliefern.

ups_zustellfahrrad_flott_unterwegsMittlerweile zeigen sich – gerade in den Ballungsräumen – die Schwächen dieses Ansatzes: Zum einen sorgt das Verkehrsaufkommen für massive Abgas-, CO2- und Feinstaub-Belastungen. Im vergangenen Winter erreichte die Luftverschmutzung in Wien und Graz neue Spitzenwerte jenseits der gesetzlichen Grenzwerte. Zum anderen kommen die Lkw im täglichen Stau der Innenstädte immer schlechter voran. Sie finden schwer einen Parkplatz und blockieren häufig Fuß- oder Radwege. Komplikationen ergeben sich auch für Kundinnen und Kunden: Liefertermine können nicht detailliert bekannt gegeben werden oder platzen. Häufig kann man die Ware im Endeffekt bei einem „Partner-Betrieb“ des Logistik-Unternehmens selber abholen.

Mikrodepots und Pedelecs

Um diesen Nachteilen zu begegnen, aber auch um die Kosten für die Zustellungen zu senken, erproben Logistikunternehmen eine neue Zauberformel: der Kombination von Mikrodepots mit – oft elektrifizierten – Lastenrädern. Dabei werden die Waren mit dem Lkw von den großen Logistikzentren am Stadtrand in kleine dezentrale Verteilzentren in den Grätzeln gebracht und von dort mit Lastenrädern oder E-Lastenrädern zur Kundschaft.

„Fast alle großen Logistiker experimentieren damit“, erklärt Johannes Reichel, Fachjournalist beim deutschen Branchenmagazin Logistra: „Gerade auf dem letzten Kilometer sind die Lastenräder den Lieferwägen durch ihre Wendigkeit und Flexibilität überlegen.“

Pilotprojekte der großen Logistiker

Waren die hierzulande in Vergessenheit geratene Technologie der Transporträder lange bloß noch Teil der Fahrrad-Subkultur oder bevorzugtes Verkehrsmittel umweltbewusster Eltern, holen große internationale Paketdienste die Lastenräder aus ökonomischen Überlegungen aus der Öko-Ecke.

•    Der Zustelldienst UPS startete in Hamburg bereits 2012 ein Pilotprojekt mit Lasten-Pedelecs und Mikrodepots, das nun auch in der in der US-Stadt Portland übernommen werden soll. Wie das Fachmagazin Logistik Heute berichtet, geht der Paketdienst davon aus, dass die Lastenräder in den USA landesweit zum festen Bestandteil der Paketzustellung werden könnten. „UPS war in den Anfängen seiner 109-jährigen Firmengeschichte ursprünglich ein Fahrradkurier-Unternehmen“, wird ein Vertreter von UPS zitiert: „Das Fahrrad könnte durchaus sein Comeback finden, um dicht bevölkerte Ballungszentren zu bedienen.“

Lastenrad mit Container von DHL. FOTO: DHL / DIEDERIK VAN DER LAAN

Lastenrad mit Container von DHL. FOTO: DHL / DIEDERIK VAN DER LAAN

•    DHL Express, der Expressdienst der deutschen Post, hat soeben ein neues City-Hub-Konzept für den Einsatz vierrädriger E-Lastenfahrräder mit Containerboxen gestartet. Das Pilotprojekt wird zeitgleich in Frankfurt und in Utrecht gelauncht und soll in weiteren europäischen Städten angeboten werden. Auf einem Lkw-Anhänger, der an einen zentralen gesicherten Stützpunkt gebracht wird, lagern die Container mit Express-Sendungen. Fahrradkuriere holen die einzelnen Container mit ihrem Cubicycle ab und liefern deren Inhalt zu den Zieladressen.

•    Der deutsche Logistiker InterKEP stellt für den vor kurzem gestarteten Same-Hour-Lieferdienst Amazon Prime Now in München Lastenräder ein, aus von einem Mikro-Hub am Hauptbahnhof die Belieferung binnen zwei Stunden umzusetzen.

•    In Wien legten sich die großen Paketdienste UPS und DPD bereits vor Jahren die ersten Cargobikes für ihre Flotte zu und folgten damit heimischen Botendiensten wie Veloce und Heavy Pedals. Gastronomische Lieferdiensten wie Michl’s Bringt’s, der für die Supermarktkette Spar Lebensmittel zustellt, haben Lastenräder schon länger in Gebrauch. Auch der Österreichische Arbeitersamariterbund verfügt seit letztem Jahr über dreirädrige Cargobikes, um damit „Essen auf Rädern“ auszuliefern. (Siehe dazu Reportage auf Seite 36) Der im Jahr 2014 gegründete Wiener Essenszustelldienst Rita bringt’s setzte von Anfang an aufs Lastenrad: „Uns war klar, dass das Fahrrad zu unseren Grundprinzipien vegetarischer und biologischer Nahrung am besten passt.  Außerdem bewähren sich unsere acht Lastenräder – vier davon mit E-Antrieb – als Transportsystem im Alltag. In der Stadt gibt es deutliche logistische Vorteile gegenüber dem Auto.“

Lastenrad von DPD im Einsatz als Teil des Logistik-Konzeptes der Seestadt Aspern. Foto: DPD

Lastenrad von DPD im Einsatz als Teil des Logistik-Konzeptes der Seestadt Aspern. Foto: DPD

Verglichen mit der Gesamtmenge der transportierten Güter ist der mit dem Fahrrad bewegte Anteil freilich immer noch minimal. Logistik-Experte Reichel spricht von allenfalls „homöopathischen Dosen“. Aber das Ausbaupotenzial ist, wie eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt im Auftrag des deutschen Bundesverkehrsministerium ergeben hat, gewaltig: 23 Prozent des gesamten Wirtschaftsverkehrs könnten demnach auf das Fahrrad verlagert werden. In den Großstädten wie Wien, gehen Studien sogar von über 50 Prozent aus.

Lastenradförderung in Wien

Das Potenzial von Lastenrädern hat auch die Stadt Wien erkannt, die sich in der Smart-City-Strategie dazu bekannt hat, den Wirtschaftsverkehr in der City bis 2030 weitgehend CO2-frei abzuwickeln. Neben der zuletzt beschlossenen finanziellen Förderung von Transportfahrrädern, veranstaltet die Stadt gemeinsam mit der European Cycle Logistics Federation die größte internationale Konferenz zum Thema Fahrrad-Logistik. Am 20. und 21. März werden mehr als 300 Fachleute die Zukunft der Branche diskutieren.

Damit ein relevanter Teil der Warenmenge eines Tages nicht mehr in stinkenden Lieferwagen unterwegs ist, bedarf es allerdings weiterer Maßnahmen. „Die Benutzung der engen und ohnehin überlasteten Radwege ist für die Lastenräder jedenfalls keine Option“, erklärt Logistik-Experte Reichel: Entweder müsse man großzügig dimensionierte Radwege einrichten oder Transporträder als selbstverständlichen Teil des gewerblichen Verkehrs auf der Fahrbahn zulassen. Platzangebot und rechtliche Rahmenbedingungen werden letztlich darüber entscheiden, ob das gewaltige Potenzial von Lastenrädern genutzt werden kann.

 


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