Abstandsurteil und die Folgen
Richtig auf Radstreifen unterwegs: Am linken Rand fahren um Abstand zu parkenden Kfz zu halten, Lenker darf Linie überragen. So entspricht es den Empfehlungen der MA46, berichtet Andrzej Felczak.
Im Drahtesel 4/16 berichteten wir über das Abstandsurteil des Verwaltungsgerichts Wien, wonach Radfahrenden ein Seitenabstand zu parkenden Kfz von 1,2 bis 1,8 Meter zugestanden wird, um nicht in die „Dooring-Zone“ zu kommen und durch unachtsam geöffnete Autotüren gefährdet zu werden.
Die Wiener Magistratsabteilung 46 (Verkehrsorganisation) wurde von der Radlobby hinsichtlich Auswirkungen des Urteils auf die Verkehrsplanung in Wien um eine Stellungnahme gebeten. In der Antwort heißt es:
„Radfahrstreifen werden neben Parkstreifen RVS-konform (Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen. Anm.) mit einer Breite von 1,75 Meter bzw. mindestens 1,50 Meter ausgeführt. Selbst auf Radfahrstreifen mit einer Mindestbreite ist daher ein rechtskonformes und gleichzeitig sicheres Verhalten der Radfahrenden möglich.“
Ab jetzt wird die Interpretation der MA 46 besonders spannend:
„Der Überhang des Lenkers auf die Restfahrbahn begründet kein den Radfahrenden vorwerfbares Verhalten und ist nicht strafbar.“
Auswirkungen des Abstandsurteils
Laut dieser Antwort darf der Fahrradlenker also über den Radstreifen ragen, die Laufräder müssen sich jedoch innerhalb der Radstreifenmarkierung befinden. Damit so eine Fahrweise Radfahrenden mehr Sicherheit bringt, müssen, unserer Einschätzung nach, weitere Voraussetzungen erfüllt sein:
- Bei Radfahrstreifen: einen ausreichend breiten Kfz-Fahrstreifen links daneben, damit Autofahrende den allgemein anerkannten Überholabstand von 1,5 Metern zu Radfahrenden einhalten können.
- Mehrzweckstreifen sind bei den von der MA 46 skizzierten Spurbreiten nur dann sicher und ein Überholen durch Kfz mit einem ausreichenden Abstand möglich, wenn das Verkehrsaufkommen gering ist, sodass Kfz-Lenkende beim Überholen auf die Gegenfahrbahn ausweichen können. Auf Mittellinien ist zu verzichten.
Laut der Untersuchung „Unfalltyp Dooring“ des Planungsbüros Rosinak & Partner „bewirken Längsmarkierungen eine Zonierung der Fahrbahn. Kfz-Lenkenden wird ausreichend Platz für ein scheinbar sicheres Überholen signalisiert, was zu Überholmanövern mit deutlich zu geringem Sicherheitsabstand führt“. Zudem fördern Rad- oder Mehrzweckstreifen das Revierdenken, was bei manchen Kfz-LenkerInnen zu „erzieherische Maßnahmen“ in Form vom absichtlichem knappen Überholen oder Schneiden führt. Um dieses Verhalten zu ändern, ist neben besserer Infrastruktur auch Bewusstseinsbildung und eine Anpassung der Führerscheinausbildung erforderlich.
Thema Abstand: Reaktionen aus der Rad-Community
Das Thema sorgt unter Radfahrenden regelmäßig für Ärger. Hier eine kleine Auswahl der Rückmeldungen aus der Rad-Community:
Herbert Hofmann, aus 1110 Wien, berichtet:
„Ich fahre regelmäßig entlang der Simmeringer Hauptstraße, wo die Fahrbahnbreite außerhalb des Mehrzweckstreifens gerade mal eine Fahrspur zulässt. Ich fahre grundsätzlich fast direkt auf der Begrenzungslinie, was bedeutet, dass mein Rennlenker etwa 20 cm über die Begrenzungslinie ragt.
Als Folge wird grundsätzlich kein ausreichender Seitenabstand zu Radfahrern eingehalten. Das Verständnis vom durchschnittlichen Autofahrer ist, dass Radfahrer weiter rechts fahren müssten, ein Überragen der Begrenzungslinie unzulässig sei. Das führt immer wieder zu wüsten Beschimpfungen, aber auch Aktionen, wie zu knappes Vorbeifahren und rasches Rechtseinschneiden um dem Radfahrer zu demonstrieren, dass er sich gefälligst weiter rechts zu halten hätte.“
Robert Spoula, aus 1210 Wien, schreibt:
„Ich fuhr am frühen Nachmittag im Herbst 2016 auf der Jedleseer Straße mit etwa 25 km/h stadteinwärts auf dem äußeren Rand knapp innerhalb des Mehrzweckstreifens, als mich bei der Höhe Hausnummer 105 ein Auto von hinten anhupte und in Folge sehr knapp und in hohem Tempo (geschätzt 60 km/h) überholte. Da die Lenkerin kurz darauf beim Fußgängerübergang Karl-Seitz-Hof stehen bleiben musste, nutzte ich die Gelegenheit, sie auf ihre gefährdende Fahrweise anzusprechen. Sie war sehr aufgebracht und meinte ich sollte ganz rechts fahren. Mein Argument, dass ich dabei sehr leicht in sich öffnende Autotüren fahren könnte, ich mich also nicht selbst gefährden möchte, ließ sie nicht gelten.“
Gerhard Weiß berichtet:
„Der Mehrzweckstreifen der Linzerstraße zwischen Samptwandnergasse und Bujattigasse verläuft fast durchgehend neben geparkten KfZ. Der Streifen an sich bietet schon nicht genug Platz, um sicher und komfortabel an den geparkten Fahrzeugen vorbeifahren zu können.
Sobald es Autoverkehr in einer gewissen Dichte gibt, wird man regelmäßig bedrängt, genötigt oder regelrecht gefährdet. Am schlimmsten ist es, wenn es Gegenverkehr gibt, vor allem zur Verkehrsspitze, wenn man gegen die Hauptrichtung unterwegs ist. Dann haben Fahrer, die hinter mir sind, eine scheinbar leere Fahrbahn vor sich, aber mit Stau auf der Gegenfahrbahn viel zu wenig Platz um sicher zu überholen. Da wird gedrängt, gehupt und oft mit wenigen Zentimetern Abstand überholt.
Schlimmstes Erlebnis: der Fahrer eines Linienbusses konnte, auch wegen einer Mittelinsel, nicht gleich überholen. Als dann etwas mehr Platz war fuhr er mit dem Bus auf Tuchfühlung an meine Seite und dann immer enger an mich heran, bis er mich zum Stehenbleiben zwang. Er gestikulierte nach rechts zeigend und fuhr weiter, hat mich also meiner Ansicht nach mit voller Absicht gefährdet.“