Die multimodale Familie
Leben mit dem richtigen Verkehrsmittel-Mix: Der DRAHTESEL zu Besuch bei drei multimodalen Familien
HAUSBESUCHE: Alec Hager, FOTOS: Andrea Siegl, Wolfgang Wieland, Alec Hager
Die starre Einteilung der Gesellschaft in Auto- und Radfahrende weicht sich immer mehr auf. Statistiken und die Lebensrealitäten in Stadt und Land zeigen: Bewusste Verkehrsmittelwahl je nach Zweck und verfügbaren Möglichkeiten wird zum Gebot der Stunde. Die Fachwelt nennt das Multimodalität: 60 Prozent der Autofahrenden in Österreich nutzen das Rad im Alltag, wie der VCÖ erfragt hat, und 57 Prozent der Alltagsradfahrenden lenken mehrmals die Woche ein Auto. Der DRAHTESEL hat drei Familien besucht, in deren Alltag sich diese Entwicklungen ebenso widerspiegeln wie der Einfluss von Verkehrspolitik, wenn der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und Radwege auf sich warten lässt.
I. Mit Rad und Öffis durch die City: In der Leopoldstadt teilt man das eigene Auto mit anderen
Stefans Auto wird regelmäßig genutzt, nur nicht von ihm selbst. „Wir würden es nur für ländliche Ziele benutzen, die mit dem Zug nicht vernünftig erreichbar sind“, sagt Stefan: „Das hat sich in den letzten beiden Jahren nicht mehr ergeben. Hauptsächlich wird es an zahlreiche andere Menschen über die private Plattform carsharing247 vermietet.“
Eigentlich kommt die internationale Familie mit Fahrrad und öffentlichem Verkehr gut durch die Großstadt. Claudia stammt aus Nicaragua und hat sich erst in Wien ans Fahrrad als Verkehrsmittel gewöhnt. Meistens fährt sie mit den Öffis. „Als eine der ersten Radtouren habe ich Claudia zur Critical Mass mitgenommen“, erinnert sich Stefan: „Das hat ihr sehr gefallen. Bald darauf hat sie die Angst vor der Straße verloren.“ Er selber fährt vom 2. in den 4. Wiener Bezirk mit dem Rad zur Arbeit und zum Einkauf. Sohn Luca geht zur nahen Schule zu Fuß. Vor kurzem hat er einen Tacho für sein Rad bekommen: „Das hat ihn sehr motiviert, schneller und länger zu fahren. Wir haben dann gleich Touren nach Greifenstein und in die Lobau gemacht“, ist Stefan stolz.
II. Durch den Graben: In Semriach unterwegs mit E-Car-Sharing
Michaela ist Projektleiterin von Autofasten Steiermark und frühere Fahrradbotin. Ihre Verkehrsmittelwahl ist also naheliegend: Mit dem Postbus 30 Kilometer zur Arbeit, ansonsten erledigt sie alle Wege im Ort mit dem Rad oder zu Fuß. „Für Einkäufe verwende ich unseren leichten Rad-Anhänger“, erzählt Michaela: „Wenn ich mit den Kindern Arzttermine in Graz habe, nehme ich mir das E-Carsharing-Auto der Gemeinde.“
Ihr Lebensgefährte Jürgen nutzt für seinen 45 Kilometer langen Arbeitsweg nach Kapfenberg das Familienauto, da zu seinen Arbeitszeiten kein öffentlicher Verkehr verfügbar ist.
Kleine Dienstfahrten fährt er dort aber oft mit dem Firmen-eigenen E-Bike, dessen Anschaffung er selber initiiert hat. Der tägliche Schulweg von Patrick und Elias ist von Steigungen gezeichnet. „Zuerst in den Graben und dann wieder bergauf!“, berichten die beiden. Aber mit 1,5 Kilometer lässt sich die Strecke gut zu Fuß bewältigen. Zum Fußball geht’s dann per Rad. Bei Wochenendausflügen für die ganze Familie sieht Michaela keine machbare Alternative zum Auto: „Leider ist die Öffi –Anbindung bei uns dann so schlecht, dass wir sie nicht nutzen können. Und da es keine Radweganbindung zum Murradweg gibt, fahren wir mit den Kindern nie mit den Rädern nach Graz.“
Auf der vielbefahrenen Landstraße sei es einfach zu gefährlich. Aber Urlaube finden oft mit Bahn und Rad statt. Michaela: „Die Kids können da bei jeder Gelegenheit stehen bleiben und Dinge am Wegesrand begutachten. Es ist herrlich!“
III. Ganz ohne Schwitzen: Im Mühlviertel erleichtert ein E-Bike das Umdenken
Die zwanzig hügeligen Kilometer durch das Mühlviertel zum Arbeitsplatz hat Jürgen bis April 2016 täglich mit dem Auto zurückgelegt. Doch dann kam die Wende in Gestalt seines ersten E-Bikes: „Einfach raufsetzen und fahren, ist jetzt das Motto. Ich wollte nicht durchgeschwitzt zur Arbeit kommen“,sagt Jürgen.
„Mit dem E-Bike gelingt mir das auch bei Gegenwind und Steigungen leicht. Ich fahre nun alle lokalen Distanzen damit, das tut mir gut.“ Die junge Familie wohnt mit ihren beiden kleinen Töchtern im Linzer Umland, mit allen üblichen Herausforderungen: Kindergarten, Arbeit, Einkauf und Freizeit – und in Hörweite der Autobahnabfahrt. „Zeit ist rar und wertvoll in unserem Alltag“, erklärt Barbara, die einmal wöchentlich für den Großeinkauf ins Auto steigt, oder – hin und wieder – für Fahrten in die 15 Kilometer entfernte Hauptstadt.
Ansonsten greift auch sie zum Fahrrad, vor allem für Besorgungen beim nahen Bio-Greißler und für die Besuche bei Großeltern und Bekannten. Wären die öffentlichen Verbindungen besser, ließen sich die Autofahrten weiter einschränken, sagt Barbara: „Die Busse fahren selten, wir hoffen daher stark auf die angekündigte Regio-Tram“. Diese könnte sie in dreißig Minuten ins Linzer Stadtzentrum bringen. Die vierjährige Alma ist jetzt schon eigenständig mit dem Kindergartenbus unterwegs, sie liebt ihr erstes Fahrrad und die gemeinsamen Fahrten mit Schwester Helene im Kinderanhänger. Kein Wunder, wenn der Papa vorne mühelos in die Pedale tritt!