In die wilden 1980er-Jahre, eine Hochblüte Auto-dominierter Verkehrspolitik, fällt die Gründung des DRAHTESEL. Seither macht sich das Magazin für die Anliegen von Radfahrenden und für eine menschzentrierte Stadtplanung stark ...

ZEITREISE: Walter Bradler und Valerie Madeja

Drathesel DE4/20

Art Directrice Anna Hazod beauftragt für die Gestaltung der DRAHTESEL-Cover Illustrator*innen aus der ganzen Welt. Diese reichen von Illustrator*innen am Anfang ihrer Karriere bis hin zu bereits international renommierten Künstler*innen. Unkonventionelle Ideen erwünscht! Cover oben: Jesús Escudero für den DRAHTESEL 4/2020

Der Ursprung der ARGUS und in gewisser Hinsicht auch des DRAHTESEL war ein Diskussions- und Aktionsforum von Wiener TU- und Stadtgeografie-Student*innen.

Von Anfang an war klar: zu einem Verein mit Mitgliedern gehört auch eine Mitgliederzeitschrift. Die Nummer 1/84 war ganze vier Seiten stark und erschien mit dem stolzen Untertitel „Zeitung für aufrechte Radfahrer/innen“ in einer Auflage von 3.000 Stück. In dieser Zeit, lange vor Internet und Mobiltelefonen, war der DRAHTESEL das Medium, „wo in Rubriken Erfahrungen ausgetauscht werden“, zum anderen für „Berichte über das, was für den Radler gerade besonders interessant ist, neue Ideen, Aktionen – auch und gerade im internationalen Maßstab. Denn was bei uns erst langsam anläuft, ist anderswo bereits längst akzeptiert.“ (Peter Ahnelt, DE 2/84) In der Ausgabe 4/84 schreiben „Eure Argonauten“ im Editorial: „Die ARGUS ist eine, allen Vereinnahmungsversuchen zum Trotz, überparteiliche Initiative, die sich und nicht zuletzt auch den ,Drahtesel‘, der den Informationsfluss zwischen aktiven und fördernden Mitgliedern sichern soll, aus den Mitgliedsbeiträgen finanziert.“

Über die Jahre spiegelte der DRAHTESEL die verkehrspolitische Debatte wider und dokumentierte die Erfolge der velophilen Interessensvertretung: Fahren gegen die Einbahn, die Modernisierung der Straßenverkehrsordnung und das nimmermüde Unterstreichen der existenziellen Notwendigkeit adäquater Fahrrad-Infrastruktur sind bis heute Schwerpunkte des Heftes. Ebenso wie das Berichten über kulturelle Ereignisse rund um das Thema Radfahren, Produkte und Trends für das Alltagsradfahren. Der DRAHTESEL berichtete über Fahrrad-Demos und über Fahrradfreundliche Gemeinden, über die Initiative „Radelt zur Arbeit“ und über den Fahrrad-Klimatest. Wenn fahrrad-affine Menschen etwas auf die Beine stellten – sei es ein Fahrrad-Kino, ein Bicibus, eine Kidical Mass oder eine Begegnungszone: Der DRAHTESEL war dabei.

Tippen am Atari

Drahtesel-Cover 1/1989

Ist heute Thema. Und war es auch schon in DRAHTESEL 1/1989: Entschleunigung des Autoverkehrs. Mittel der Wahl damals: Verkehrsinseln…

Die zunehmende Professionalisierung der Fahrrad-Interessensvertretung zeigte sich auch beim DRAHTESEL: Mitte der 1980er-Jahre gab es bereits Aktive mit Herz und ungeheurem Engagement – aber wenig digitale Hilfsmittel, obwohl Artikel und einzelne Grafiken bereits auf Ataris, Commodores und PCs gebastelt wurden. Für die Titel nutzte man anfangs Anreibebuchstaben. Beim Druck von gerasterten Fotos auf grauem Umweltschutzpapier musste man schlechte Qualität in Kauf nehmen. Ab 1987 gab es immerhin eine Schmuckfarbe für den Umschlag, wodurch die Gestaltung grafisch ansprechender wurde. Mit besserem Papier und Vierfarbdruck konnten 1990 auch Farbfotos am Titel erscheinen. Im Jahr 1994 wurde das Heft dann durchgehend bunt. Der Seitenumfang nahm – von kleinen Schwankungen abgesehen – beständig zu. Aus anfangs vier Heften jährlich wurden in den 1990ern bis zu sechs. Von Ende der 1990er-Jahre bis 2010 erschienen meist fünf Ausgaben jährlich, wobei das Jännerheft dünner ausfiel.

Auflage: 17.000 bis 20.000 Stück

Seiner Zeit voraus, oder überoptimistisch? DRAHTESEL 1/2015 von Kalle Mattsson zeichnet eine Zukunftsvision ohne motorisierten Individualverkehr. (zumindest auf dem Cover)

Seit 2011 gibt es den DRAHTESEL vier Mal pro Jahr in einem Umfang von zuletzt meist 48 bis 72 Seiten. Die Auflage stieg bis 1989 rapide auf 12.000 und liegt jetzt bei für – in Österreich durchaus beachtlichen – 17.000 bis 20.000 Stück (die erste Nummer zum ARGUS-Bike Festival erscheint traditionell in einer höheren Auflage).

Verantwortliche Redakteur*innen der ersten Jahre waren Ariane Dröscher, Gordon „Afghan“ Casford, Michael Bauer, Christian Höller und Gerhard Habliczek. Ab 1992 findet man im Impressum eine Namensliste mit u.a. Peter Ahnelt, Constantin Cazan, Honzo und Evi Doppel, Herbert Loserl, Helmut Gretsch, Andreas Röderer … Ab 2012 oblag die Redaktionsleitung Reinhold Seitl, ihm folgte ab 4/13 Matthias G. Bernold als Chefredakteur, und er ist es auch ab 2024 wieder. Dazwischen lag diese Aufgabe drei Jahre lang in den Händen von Ruth Eisenreich.

Am Ende des Editorials 4/84 heißt es: „Bis zum nächsten Mal wünschen wir uns und euch ein Anhalten des beginnenden Auf- und Rückenwindes. Eure Argonauten“. Besser kann man es auch 2024 nicht formulieren.


Erinnerungen von DRAHTESEL-Macher*innen

Drahtesel-Cover 3/1984

Großes Thema in den 1980er-Jahren: die fahrrad-feindliche Rechtslage. DRAHTESEL 3/1984 fordert, Einbahnen für Radfahrende zu öffnen. Illustrator unbekannt.

Der DRAHTESEL bestand anfangs aus ein, zwei losen mit Schreibmaschine geschriebenen A4-Blättern. Daraus wurde in meiner Zeit eine 12-seitige geheftete Zeitung. Was heute Indesign und Photoshop ist, waren damals die revolutionären Letraset-Anreibebuchstaben. Damit konnte man Buchstaben von einer Trägerfolie mit einem Anreibelöffel – oder dem Fingernagel – auf Papier übertragen und Überschriften gestalten. Buchstabe für Buchstabe. Eine Bastelstunde von aufgeklebten Textstreifen, Fotos, Illustrationen und handgezeichneten Linien. Ein kleines Kunstwerk eben – nur nicht handsigniert.

Michael Bauer
Redakteur 1984-1985

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Der DRAHTESEL war das entscheidende Medium, um die Radler*innen und ARGUS Mitglieder über wichtige Themen zu informieren. Die neuen „grafischen“ PCs – allen voran der MAC, aber auch der „Billig-Mac“ Atari – erleichterten es uns enorm, Layouts und Grafiken zu erstellen.

Peter Ahnelt
Mitarbeiter der ersten Stunde, mit Unterbrechungen bis in die 1990er Jahre aktiv dabei

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Der DRAHTESEL war integrativ für das Team der durchwegs ehrenamtlich Aktiven, die Ideen und Humor einfließen ließen, Artikel schrieben – bis hin zum Happening des gemeinsamen Adressklebens. Spaß und Motivation waren groß. Meine Lieblings-Anekdote ist der ARGUS-Stand in der Opernpassage, wo wir Wodka ausgeschenkt haben und ein Radfahrverbot in Wien, wie in Moskau, gefordert haben. Diese paradoxe Intervention hat Wunder gewirkt: Nie wieder habe ich Passant*innen so engagiert und emotional Partei fürs Radfahren ergreifen sehen.

DRAHTESEL 4/2021 setzte sich mit dem Thema Sprache in der Verkehrspolitik auseinander. Michael Mcdonnell gestaltete das Cover als Word-Cloud frei nach Arcimboldo

Christian Höller
Redakteur 1984 bis 1990

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Der DRAHTESEL war von Anbeginn, was er auch 40 Jahre später ist: Die einzige unabhängige Zeitschrift in Österreich, die die Interessen der Alltags- und Freizeitradler*innen thematisiert. Natürlich lese ich den DRAHTESEL bis heute. Tipps gebe ich „vom Balkon herunter“ keine, Hauptsache der DRAHTESEL wird weiterhin von Menschen gemacht, die für „unsere“ Sache brennen.

Reinhold Seitl
Chefredakteur 2012 bis 2013

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